Online-Programm
Das Erleben rassistischer Diskriminierung ist für Außenstehende schwer zu erkennen, da sie sich häufig durch subtile Signale – so genannte rassistische Mikroaggressionen – äußern. Darüber hinaus können auch im Rahmen der Psychotherapie innerhalb der Kommunikation mit Patient:innen unbewusst rassistische Stereotype und Vorurteile reproduziert werden. Dies kann einen negativen Einfluss auf die therapeutische Allianz und somit die Qualität der Psychotherapie nehmen. In den Vorträgen des Symposiums werden die Notwendigkeiten und Möglichkeiten rassismussensibler Psychotherapie beleuchtet: 1. Berrin Özlem Otyakmaz: Thematisierbarkeit von Rassismus in der Psychotherapie. 2. Sema Akbunar: Rassismussensible Psychotherapie im Einzel- und Paarsetting. 3. Marcel Badra: Rassismussensible Psychotherapie im Gruppensetting.
Referate
Titel: Thematisierbarkeit von Rassismuserfahrungen im Kontext von Psychotherapie
Alltagsrassistische Erfahrungen (rassistische Mikroaggressionen) prägen die Lebensrealität von rassistisch markierten Menschen in Deutschland und können für die Betroffenen massive Beeinträchtigungen ihrer psychischen Gesundheit zur Folge haben, die einer psychotherapeutischen Behandlung bedürfen. Doch rassistische Mikroaggressionen, die auch im Kontext von Psychotherapie stattfinden, verhindern eine adäquate Behandlung. Der Beitrag beleuchtet das Vorkommen von Rassismus in Deutschland, auch in seinen subtilen, alltäglichen Formen und im Kontext von Psychotherapie. Im Anschluss werden Bedingungen und Notwendigkeiten auf der Ebene von Fachgesellschaften, in Aus- und Weiterbildung, in der Forschung und für das psychotherapeutische Vorgehen formuliert, die eine rassismuskritische Psychotherapie ermöglichen sollen.
Prof. Dr. Berrin Özlem Otyakmaz
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Titel: Rassismussensible Psychotherapie im Gruppensetting
Rassismussensible Gruppenpsychotherapie zielt darauf ab, die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen von Menschen zu adressieren, die aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder Hautfarbe Diskriminierung erfahren haben. Durch einen bewussten Umgang mit rassistischen Erfahrungen im therapeutischen Kontext werden interpersonelle Dynamiken und soziale Vorurteile thematisiert. Die Therapie schafft einen Raum, in dem Betroffene ihre Erlebnisse teilen und verarbeiten können. Sie fördert die Stärkung des Selbstwertgefühls und bietet Strategien zur Bewältigung von Diskriminierung. Der Fokus liegt dabei auf der Sensibilisierung für rassistische Strukturen und deren Einfluss auf das persönliche und kollektive Erleben in der Gruppe.
Sema Akbunar
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Titel: Rassismussensible Haltung im therapeutischen Setting
Eine rassismussensible Haltung in der Psychotherapie bedeutet, dass TherapeutInnen rassistische Strukturen erkennen und ihre Arbeit darauf ausrichten. Sie reflektieren eigene Vorurteile und arbeiten bewusst daran, diese nicht in die therapeutische Beziehung einfließen zu lassen. Kulturelle Unterschiede werden anerkannt und in den Kontext der psychischen Gesundheit integriert. TherapeutInnen stärken die Resilienz von Betroffenen, indem sie deren Erfahrungen mit Diskriminierung ernst nehmen. Sie fördern das Empowerment und berücksichtigen die Wechselwirkungen von Rassismus mit anderen Diskriminierungsformen. Kontinuierliche Selbstreflexion und Weiterbildung sind essenziell.
Marcel Badra
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Im Februar 2020 wurde das Verbot der assistierten Sterbebegleitung in Deutschland durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aufgehoben. Seitdem steht die Regelung zum assistierten Suizid im Fokus von ethischen und gesellschaftlichen Debatten. Die Vielschichtigkeit dieses Themas wirft komplexe Fragen auf, die nicht nur medizinische und ethische, sondern auch soziokulturelle und rechtliche Aspekte umfassen. Auch Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen werden in ihrer Arbeit vermehrt mit der Thematik konfrontiert.
Das Symposium zielt darauf an, einen Überblick über die aktuelle Situation und ethische Aspekte zu geben sowie einen Fokus auf die Versorgung der Hinterbliebenen zu legen.
Referate
Titel: Einstellungen gegenüber assistiertem Suizid in der Allgemeinbevölkerung
Die Legalisierung des assistierten Suizids sorgt in der Gesellschaft für klinische, ethische und politische Kontroversen. Während manche Personen den assistierten Suizid als Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbens sehen, befürchten andere einen zu leichten Zugang. Ziel der vorliegenden Studien war es, die Einstellung der der Allgemeinbevölkerung (N = 521) zu erfassen und unter Berücksichtigung von eigener Verlusterfahrung, Religionszugehörigkeit und soziodemographischen Faktoren zu analysieren. Das Erleben eines Suizidverlusts sowie Alter, Bildungsgrad und Religionszugehörigkeit haben einen signifikanten Einfluss auf die Einstellungen gegenüber dem assistierten Suizid. Diese Ergebnisse tragen zur öffentlichen Diskussion und Aufklärung über den assistierten Suizid bei, indem sie unterschiedliche Perspektiven und allgemeine Ängste beleuchten.
Dr. Laura Hofmann
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Titel: Psychische und soziale Belastungsfaktoren von Angehörige vor und nach einem assistierten Suizid
Während bei der Debatte um die Sterbehilfe meistens die Sterbewilligen im Fokus stehen, gibt es nur unzureichend Wissen darüber, welche Folgen ein geplanter oder vollzogener assistierter Suizid auf die Angehörigen hat.
Im Rahmen einer Beratungsstelle für Angehörige, welche von assistiertem Suizid betroffen sind, wurden Angehörige (N=20) in Bezug auf die psychische Gesundheit und ihr Belastungserleben im Kontext des assistierten Suizids befragt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die meisten Angehörigen vor dem geplanten Suizid Hilfe in Anspruch nehmen. Die Themen der Beratung betreffen Ängste, Begleitung des assistierten Suizides, moralisches Dilemma, Trauer und Akzeptanz des assistierten Suizides.
Abschließend soll im Rahmen einer Diskussion die Angehörigenperspektive in Bezug auf die derzeitige Debatte des selbstbestimmten Sterbens erörtert und klinische Handlungsempfehlungen diskutiert werden.
Prof. Dr. Birgit Wagner
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Titel: Assistierter Suizid: Ein Überblick
Im Rahmen des Vortrags wird ein Überblick gegeben über den aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens zum assistierten Suizid in Deutschland. In diesem Zusammenhang werden die verschiedenen Vorschläge zur Gesetzgebung erläutert und Unterschiede zur Gesetzeslage in anderen Ländern werden diskutiert. Ergänzend wird die Entwicklung der Inanspruchnahme von assistierten Suiziden in anderen europäischen Ländern berichtet und das Verhältnis von assistierten Suiziden zu Suiziden wird diskutiert. Exkursartig wird die spezielle Situation von psychisch Erkrankten reflektiert werden. Abschließend werden Möglichkeiten zur Beratung von Personen, die einen assistierten Suizid erwägen, skizziert.
Prof. Dr. Tobias Teismann
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Kinder und Jugendliche mit Autismus und ihre Familien benötigen von früh an dringend therapeutische Unterstützung, da der Alltag und das soziale Lernen der Kinder meist stark beeinträchtigt sind, die Kinder in der Folge oft ausgegrenzt, die Familien isoliert werden. Sowohl die frühe Diagnose als auch die frühe Therapie gilt als besonders erfolgsversprechend, um die Voraussetzung für Lernen und Entwicklung zu schaffen. Wissenschaftlich als wirksam belegt ist auch der intensive Einbezug der Eltern durch ein Elterntraining. In dem Symposium werden zunächst die aktuellen S3-Leitlininen zur Therapie diskutiert sowie eine kritische Einordnung der neuen ICD-11 Klassifikation des Autismus vorgenommen. In der Folge werden ein neues Projekt zur Verbesserung der Frühdiagnose sowie die zentralen Elemente eines evidenzbasierten Frühtherapieprogramms mit Elterntraining – dem Bremer Frühtherapieprogramm Autismus - vorgestellt.
Referate
Titel: Essentials und Kontroversen um die S3-Therapie-Leitlinien und die ICD-11 Konzeption bei der Autismus-Spektrum-Störung
Was haben die S3-Leitlinien gebracht? Was sind die zentralen Empfehlungen zur Einzeltherapie und Elternarbeit bei ASS? Wo gab es Kontroversen (Stichwort: Sondervotum u.a. der DGVT). Und was sollte bei der geplanten Aktualisierung berücksichtigt werden?
Noch wird die ICD-11 kaum im klinischen Alltag angewandt, dennoch hat sich der Spektrums-Begriff im Bereich ‚Autismus‘ durchgesetzt. Stück für Stück werden nun auch die Diagnose-Kriterien ins Deutsche übersetzt und schon mehren sich die kritischen und warnenden Stimmen. Die eher weich formulierten Kriterien könnten zu einer „Bedeutungslosigkeit“ der Diagnose führen und besonders die Forschung erschweren (s. Stellungnahme der WGAS). Der Vortrag endet mit einem Ausblick, was die Anwendung der Schematherapie bei PatientInnen mit ASS bringen könnte.
Literatur:
Kamp-Becker, I. (2024). Autism spectrum disorder in ICD-11 — a critical reflection of its possible impact on clinical practice and research, Molecular Psychiatry, 29 (3), 633–638.
Claus Lechmann
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Titel: Wirksame Früherkennung von ASS durch Integration eines Screeningverfahrens in die pädiatrische Vorsorgeuntersuchung
Autismus-Spektrum-Störungen können ab dem 2. LJ erkannt werden (Döringer & Rittmann, 2020; Vllasaliu et al. 2019). Elterliche Sorgen manifestieren sich bereits vorher und erste Besonderheiten im Verhalten des Kindes fallen mit zwölf Monaten und früher auf (Matheis et. al 2017). Allerdings werden die Diagnosen in D im Schnitt stark verzögert gestellt und ziehen sich nicht selten bis zur Einschulung hin (vgl. Höfer et al. 2019; Tröster et al. 2019). Die Bundesrepublik bildet damit im globalen Vergleich eins der Schlusslichter (van’t Hof et al. 2021). Gleichzeitig besteht Konsens, dass bereits in der frühen Kindheit eine Diagnostik anzustreben ist um schnellstmöglich Interventionen bereitzustellen (Kamp-Becker & Bölte, 2024). Im Rahmen eines Projekts im Tessin (Ramelli et al.) gelang es, durch Anbindung eines ASS-Screenings an die pädiatrischen Vorsorgeuntersuchungen das Diagnosealter von 3,7 auf idealtypische 2,4 Jahre vorzuverlagern. Die Forschungsstelle Autismus der FH Münster entwickelt ein Modellvorhaben, im Rahmen des deutschen Gesundheitssystems eine analoge Vorgehensweise zu etablieren.
Literatur:
Ramelli, V., Perlini, R., Zanda, N., Mascetti, G., Rizzi, E., & Ramelli, G. P. (2018). Early identification of autism spectrum disorders using the two-step Modified Checklist for Autism: experience in Southern Switzerland. European journal of pediatrics, 177(4), 477–478. doi.org/10.1007/s00431-018-3097-y
Prof. Dr. H. R.Röttgers & P. C. Stockmann
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Titel: Kinder mit Autismus erfolgreich fördern: Einsatz Autismusspezifischer Verhaltenstherapie (AVT) mit Elterntraining
Das Bremer Frühtherapieprogramm Autismus (BFA) ist eine hoch intensive, in der häuslichen Umgebung der Kinder ansetzende Förderung, die die Eltern und die familiäre Interaktion maßgeblich einbezieht. Schwerpunkt ist ein integriertes Elterntraining. Gefördert werden junge Kinder mit Autismus zwischen 2,5 und 6 Jahren. Die Eltern und vier Ko-Therapeuten bilden jeweils ein „Familienteam“ und werden in speziellen Schulungskursen in der Anwendung der „Autismusspezifischen Verhaltenstherapie (AVT)“ ausgebildet, „professionalisiert“. Das Programm ist wissenschaftlich evaluiert. Entwicklungsrückstände werden aufgeholt, die Autismussymptomatik deutlich reduziert, die häusliche Situation entspannt sich und die Eltern-Kind-Interaktion wird messbar verbessert. In diesem Vortrag werden die wesentlichen Elemente des Konzepts des BFA erläutert und die Ergebnisse des mehrjährigen Forschungsprojekts zur Effektivität des Programms vorgestellt.
Literatur:
Cordes, R. (Hrsg.) (2023). Bremer Frühtherapieprogramm Autismus. Intensivförderung mit Elterntraining. München: Elsevier Urban & Fischer.
Cordes, R. & Cordes, H. (2009). Elterntraining/Frühe Intervention. In S. Bölte (Hrsg.), Autismus: Spektrum, Ursachen, Diagnostik, Intervention, Perspektiven. Bern: Huber.
Dr. Ragna Cordes
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Welche Möglichkeiten gibt es aktuell, als geflüchtete Person psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen bzw. als Berufsgruppe Therapie anzubieten? Wie können wir als Psychotherapeut:innen Brücken bauen, um einem diskriminierungsfreien Zugang zum Menschenrecht auf Gesundheit zu gewährleisten? Auf Grundlage praktischer Erfahrung und Koordination des seit 2017 bestehenden Konstanzer Modellprojekts (Bogatzki et al., 2023), sollen im Workshop die spezifischen Besonderheiten in der Psychotherapie mit Geflüchteten betrachtet werden. Hierbei wird es primär um rechtliche Grundlagen, administrativer Vorgänge und Versorgungsmöglichkeiten sowie psychopathologische Besonderheiten gehen. Zudem werden Aspekte bzgl. transkultureller Kompetenz, Arbeit mit Peers (Bogatzki & Odenwald, 2023) und Sprachmittlung fokussiert.
In der Fortbildung werden ethische Fragen diskutiert, typische Situationen aus der Praxis aufgegriffen und praktische Handlungsanleitungen vermittelt, die Orientierungshilfen in der Zusammenarbeit mit Sprachmittler:innen und der Psychotherapie mit Geflüchteten geben.
In den letzten Jahren ist das Thema sexualisierte Gewalt und Präventionsarbeit vermehrt in den Fokus unserer Gesellschaft gerückt. Doch obwohl wir angefangen haben hinzuschauen, liegen viele Bereiche der Präventionsarbeit noch im Dunkeln. Dem wollen wir in diesem Symposium begegnen: Wir wollen hinschauen, wo andere wegschauen und vor allem bisherige Randbereiche der Präventionsarbeit stärker ins Blickfeld nehmen. Präventionsarbeit zu sexualisierter Gewalt ist vielseitig. Es geht darum Kinder und Jugendliche zu stärken für ihre Grenzen einzustehen und die Grenzen anderer zu wahren. Es geht darum Kinder und Jugendliche zu empowern sich Unterstützung zu suchen, und Barrieren, die sich für Kinder dabei auftun, zu reduzieren. Außerdem geht es darum herauszufinden, welche strukturellen Aspekte in unserer Gesellschaft die Ausübung sexualisierter Gewalt ermöglichen oder begünstigen und wie wir diese Aspekte verändern können. In den Beiträgen des Symposiums werden wir uns verschiedenen Bereichen der Präventionsarbeit wissenschaftlich und praxisbezogen nähern und die Zusammenhänge der Beiträge gemeinsam diskutieren.
Referate
Titel: Perspektiven junger Menschen auf Grenzverletzungen: Ein Ansatz zur Operationalisierung
Wenn wir von Prävention sprechen, denken wir an die Verhinderung sexualisierter Gewalt. Grenzverletzungen werden in Präventionsprogrammen implizit berücksichtigt, finden aber wenig Raum im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs. Eine trennscharfe Definition von Grenzverletzung sowie eine ausführliche Betrachtung aus der (klinisch-)psychologischen Perspektive fehlt. Wir möchten einen Beitrag dazu leisten, diese Lücke zu schließen, und auch die Perspektive junger Menschen miteinbeziehen. Unser Ziel ist es, in einem partizipatorischen Ansatz einen Fragebogen zu entwickeln, der grenzverletzende Erfahrungen greifbar und messbar macht. In diesem Symposiumsbeitrag werden wir erste Ergebnisse einer möglichen Operationalisierung grenzverletzender Erfahrungen junger Menschen präsentieren.
Sarah Wüllner
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Titel: Eltern-Kind-Interaktion als Risiko- und Schutzfaktor für Gewalterfahrungen: Vorstellung eines Beobachtungsmanuals und erste Erkenntnisse aus einer Pilotstudie
Die Eltern-Kind-Interaktion spielt eine wesentliche Rolle in der kindlichen Entwicklung und steht in einem engen Zusammenhang mit diversen Grenzverletzungen und Gewalterfahrungen. Insbesondere jüngere Kinder können entwicklungsbedingt häufig noch keine Aussage darüber treffen, welches Interaktionsmuster sie erleben. Traditionell wird daher auf das Elternurteil zurückgegriffen, wobei die Validität von diesem fraglich ist. Ein vielversprechender Ansatz ist der komplementäre Einsatz von Beobachtungsverfahren. Im Symposiumsbeitrag werden die Entwicklung eines Beobachtungsmanuals und erste Erkenntnisse aus einer Pilotstudie in Familien mit Kindern im Vorschulalter präsentiert.
Lena Wellen
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Titel: Peer-Support und Empowerment als Präventionsstrategie
Prävention im Kontext erwachsener Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung hat auf mehreren Ebenen viel mit Empowerment zu tun. Auf der Ebene des Individuums kann es darum gehen, sich zu zeigen, sich zu äußern, Forderungen zu stellen und Grenzen setzen zu lernen (und zu dürfen!). Auf der strukturellen Ebene, wie z.B. der Eingliederungshilfe erfordert dies unter anderem die Bereitschaft, Partizipation konsequent zu realisieren. Am praktischen Beispiel des Peer Supports zeigen die Referent*innen, wie individuelle und strukturelle Prozesse Teilhabe und Empowerment zugleich erzeugen und erfordern.
Franziska Herms (Mutstelle Berlin) & Peer-Beraterin Peggy Turan (Beratungsstelle gegen Gewalt der Lebenshilfe gGmbH)
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Titel: Grenzenlose Orte – Sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen in der Jugendarbeit am Beispiel des Bundes der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP)
In den letzten 15 Jahren haben vor allem Meldungen über sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im kirchlichen Kontext die Öffentlichkeit erschüttert. Aber auch die nicht kirchliche Jugendarbeit birgt Risiken. Als einer der ersten Jugendverbände hat sich der BdP mit der Vergabe einer externen unabhängigen wissenschaftlichen Aufarbeitungsstudie mutig seiner Vergangenheit gestellt. Das IPP München hat auf der Basis von qualitativen Interviews und Aktenrecherchen die besonderen Risiken und Ermöglichungsbedingungen für sexualisierte Gewalt in dieser offenen Form der Jugendarbeit analysiert. Neben den Risiken geht es in dem Beitrag auch um Hinweise für Aufarbeitung, im Sinne eines einen achtsamen Umgangs mit Betroffenen sowie einer Form des Umgangs mit Beschuldigten und der Entwicklung spezifischer Präventionskonzepte.
Helga Dill
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Schulvermeidung ist zwar kein eigenständiges Störungsbild, kann jedoch Ausdruck einer psychischen Erkrankung sein und ist fast immer in komplexe psychosoziale Begleitumstände eingebettet, die ein mehrdimensionales Verständnis sowie eine multiprofessionelle Therapieplanung erfordern. Das Symposium umfasst sowohl einen Beitrag zum aktuellen Stand der Forschung zu Schulvermeidung hinsichtlich Klassifikation und Therapie sowie spezifische Beiträge zu neuen Entwicklungen im Bereich Diagnostik, Prävention und Therapie/Rehabilitation.
Referate
Titel: Förderung der schulischen Wiedereingliederung nach psychiatrischer stationärer Behandlung: Ein neues Rehabilitationsprogramm für Kinder und Jugendliche mit chronischer Schulverweigerung (SchuTIng-stAR)
Schulverweigerung bei Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen birgt langfristige Risiken für ihren Bildungsweg, ihre zukünftigen Möglichkeiten am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, für psychische Gesundheit und soziale Teilhabe. Trotz der Verfügbarkeit verschiedener Behandlungsansätze hat eine beträchtliche Zahl von Jugendlichen nach einer stationären oder teilstationären Therapie weiterhin Schwierigkeiten mit dem Schulbesuch. Um die Wiedereingliederung in die Schule zu verbessern, wurde das Rehabilitationsprogramm „SchuTIng-stAR “ (Schulische Teilhabe und Integration für psychisch kranke Kinder und Jugendliche durch ein nahtloses stufenweises Angebot zur Rehabilitation) speziell für Kinder und Jugendliche mit schwerer und anhaltender Schulverweigerung in Verbindung mit psychiatrischen Störungen entwickelt, bei denen das Risiko besteht, dass sie nach einer stationären oder teilstationären psychiatrischen Behandlung weiterhin Probleme mit dem Schulbesuch haben. Im Vortrag wird die Maßnahme vorgestellt, sowie erste Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation referiert.
Ursula Neumann
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Titel: On the frontline for attendance – Implementierung von School Attendance Teams zur Reduktion von Schulabsentismus
Schulabsentismus erhöht das Risiko an einer psychischen Erkrankung zu leiden um das 13-fache und kann die schulische Laufbahn und die sozial-emotionale Entwicklung gefährden. US-amerikanische Daten zeigen, dass School Attendance Teams (SATs) an Schulen zu einer Verbesserung der Schulbesuchsraten führen. SATs haben die Aufgabe, im Rahmen eines Response-to-Intervention Modells den Schulbesuch zu monitoren und schweregradabhängige Interventionen zu etablieren. In einer multi-zentrischen Machbarkeitsstudie wird der Frage nachgegangen, ob es an 4 Grundschulen in Düsseldorf möglich ist SATS durch eine Workshop-Serie zu implementieren und damit Schulabsentismus zu reduzieren. Zusätzlich werden longitudinal mit mixed-methods (qualitative und quantitative Analyse) die Interventionen und der Verlauf der Schulfehltage evaluiert. In Vernetzung mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Institutionen werden SATs an Schulen erstmalig installiert.
Senka Asceric | PD Dr. Volker Reissner
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Titel: Stand der Forschung zu Schulvermeidung und bewährten Therapieansätzen
Trotz der unverändert bestehenden Kontroversen zur Klassifikation, zu Begrifflichkeiten sowie zur diagnostischen Einordnung haben sich inzwischen auf dem Feld der Forschung zu Schulabsentismus und Schulvermeidung erhebliche Fortschritte hinsichtlich einer einheitlichen und fächerübergreifenden Sichtweise ergeben. Nach einer Einordnung des Phänomens Schulvermeidung auch anhand aktueller Forschungsbefunde wird der Schwerpunkt des Vortrags auf einer Darstellung des therapeutischen Vorgehens bei Schulvermeidung mit unterschiedlichen Schweregraden liegen.
Dr. Martin Knollmann
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Sexualhormonschwankungen - zum Beispiel im Rahmen des Menstruationszyklus, der Schwangerschaft oder Menopause - können mit Veränderungen von psychischen Symptomen einhergehen. Das Wissen darüber kann einen Einfluss auf Störungsverständnis, Psychoedukation und psychotherapeutische Interventionen haben. In diesem Symposium wird der Zusammenhang zwischen Sexualhormonschwankungen im Rahmen des Menstruationszyklus und depressiven Symptomen, sowie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S) anhand von zwei Ambulatory Assessment Studien beschrieben. Darüber hinaus wird durch eine Befragung von Psychotherapeut*innen und Psychotherapiepatient*innen dargestellt, inwieweit reproduktive Faktoren wie der Menstruationszyklus in der Therapie Berücksichtigung finden. Auf Basis dessen können mögliche Schlussfolgerungen für die Psychotherapie abgeleitet werden.
Referate
Titel: Der Einfluss des Menstruationszyklus auf depressive Symptome
Das Risiko, eine depressive Störung zu entwickeln, ist für Frauen doppelt so hoch wie für Männer. Dieser Geschlechtsunterschied beginnt in der Pubertät und endet mit der Menopause und umfasst damit einen Zeitraum, in dem die meisten Frauen einen Menstruationszyklus haben. Dies deutet darauf hin, dass der Menstruationszyklus und fluktuierende Sexualhormone zur Entwicklung depressiver Störungen beitragen könnten. Mithilfe einer Ambulatory Assessment Studie wurde untersucht, ob und in welchen Mustern sich depressive Symptome über den Menstruationszyklus hinweg verändern. Darüber hinaus wurde untersucht, inwieweit unregelmäßige und anovulatorische Zyklen mit depressiven Symptomen zusammenhängen können.
Dr. Hannah Klusmann
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Titel: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung über den Menstruationszyklus hinweg: Die Rolle von Stress und Schlafqualität
Es gibt erste Hinweise auf eine zyklische Exazerbation der Symptome der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S) im perimenstruellen Fenster des Menstruationszyklus. Anhand von Ambulatory Assessment Daten von 126 Frauen mit natürlichem Zyklus und AD(H)S wurden zyklische Symptomschwankungen, der Einfluss von Stresswahrnehmung und Schlafqualität sowie affektive Konsequenzen momentaner Impulsivität und Unaufmerksamkeit über einen Zyklus hinweg untersucht. Die Symptomintensität aller Symptomcluster nahm von der Follikelphase zur späten Lutealphase zu. Verminderte Schlafqualität in der letzten Nacht erhöhte die Symptomintensität vor allem in der Follikelphase, während erhöhte Stresswahrnehmung insbesondere in der späten Lutealphase mit einer Symptomexazerbation einherging. Unabhängig von der Zyklusphase sagten Impulsivität und Unaufmerksamkeit im Alltag Schuld- und Schamgefühle vorher. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Frauen mit AD(H)S vulnerabel für eine perimenstruelle Symptomexazerbation sind und unterstreichen das Potenzial phasenspezifischer Interventionen für betroffene Frauen.
Sibel Nayman & Prof. Christine Kühner
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Titel: Reproduktive Gesundheit in der Psychotherapie – Thematisiert oder tabuisiert?
Reproduktive Faktoren können in psychotherapeutischen Behandlungen als ätiologische Faktoren, als Einflussfaktoren auf aktuelle Symptome sowie für die Differenzialdiagnostik relevant sein. Entsprechend erscheint es sinnvoll, diese Faktoren in der Fallkonzeption und Behandlungsplanung zu berücksichtigen. Präsentiert werden die Ergebnisse aus zwei querschnittlichen, anonymen online-Befragungen von Psychotherapeut*innen (n=390) und Psychotherapiepatient*innen (n=291). Diese zeigen eine klare Diskrepanz zwischen einer hohen wahrgenommenen Relevanz der reproduktiven Faktoren (Menstruationszyklus, Menopause, hormonelle Verhütung, Kinderwunschbehandlungen, Schwangerschaften und Geburten) für die psychotherapeutischen Behandlungen einerseits und einer vergleichsweise seltenen proaktiven Abfrage durch die Psychotherapeut*innen andererseits auf.
Dr. Sinha Engel
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In der heutigen Zeit (besonders im Hinblick auf die neue Diagnose „Computerspielsucht“ im ICD-11) spielen Computerspiele eine signifikante Rolle im Leben unserer Patienten, mit sowohl positiven als auch negativen Auswirkungen. Sie können einerseits Störfaktoren im Familienleben sein, beispielsweise durch übermäßigen Konsum, der die familiäre Kommunikation beeinträchtigt. Andererseits bieten sie Möglichkeiten zum Rückzug, zur Entspannung und zum Knüpfen von Kontakten. Der Jugendschutz, insbesondere durch Mechanismen wie Mikro-Transaktionen und Lootboxen, gewinnt zunehmend an Bedeutung. In der Kinder- und Jugendpsychotherapie ist es wichtig, Computerspiele nicht nur negativ zu sehen, sondern auch deren therapeutische Potenziale zu nutzen. Ziel ist es, ein ausgewogenes Verhältnis zu digitalen Medien zu fördern und dadurch die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.
Der Buchstabe I in "LGBTQIA" wird zwar meist mitgeschrieben, jedoch gibt es trotz beginnender gesellschaftlicher Öffnung für queere, trans und nicht-binäre Themen oftmals noch wenig explizites Wissen in der Psychotherapie zu den sehr spezifischen Erfahrungen von intergeschlechtlichen Menschen. Dieser Workshop soll zunächst klären, was Inter* überhaupt bedeutet und mit welchen Lebensrealitäten Personen konfrontiert sind, die in der medizinisch-biologischen Binarität von Körperlichkeit nicht abgebildet werden. Außerdem soll erörtert werden, welchen spezifischen Themen und Bedarfe in der Psychotherapie mit Inter* Personen besondere Beachtung geschenkt werden sollte, und wie diesen leitliniengetreu, diskriminierungssibel und auf Augenhöhe begegnet werden kann.
Obwohl die Anerkennung von Verhaltenssüchten, insbesondere der Computerspielstörung („Gaming Disorder"), als eigenständige Diagnosen im ICD-11 noch nicht lange zurückliegt, hat sich bereits einiges getan. Die Forschung zu diesem Thema hat deutlich an Fahrt gewonnen, und es werden Leitlinien entwickelt, die Standards für Diagnostik, Frühintervention und Behandlung setzen. Dennoch ist ein sprunghafter Anstieg der Betroffenenzahlen zu verzeichnen, und das Hilfesystem sieht sich mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Online-Verhaltenssüchten konfrontiert. Diese reichen von Online-Shopping über Online-Pornografie und Soziale Netzwerke bis hin zu neuen Varianten von Computerspielen mit Glücksspielanteilen.
– Der Vortrag hat zum Ziel, sowohl eine aktuelle Bestandsaufnahme der Situation zu präsentieren, Konvergenzen der verschiedenen Verhaltenssüchte aufzuzeigen, als auch Beratungs- und Behandlungsansätze bei Verhaltenssüchten zu vermitteln. Dies soll dazu beitragen, das Bewusstsein für das Thema zu schärfen und somit zu einer verbesserten Versorgung von Menschen mit Verhaltenssüchten beizutragen.
Angststörungen sind die größte Gruppe von psychischen Störungen, ca. 14% der Bevölkerung sind davon betroffen – auf Europa gerechnet entspricht dies mehr als 61 Millionen Menschen, die pro Jahr an einer Angststörung leiden. Angststörungen manifestieren sich bereits in der Kindheit und Jugend und zeigen unbehandelt einen chronischen, komorbid belasteten Verlauf. Sie sind ein Prädiktor für die Entwicklung depressiver Störungen und sind mit erhöhten Suizidalitätsraten assoziiert. Angststörungen befinden sich dem entsprechend unter den Top Ten aller Erkrankungen weltweit, die mit einer hohen Beeinträchtigung, gemessen an den Disability-Adjusted Life Years, sowie mit immensen direkten und indirekten Kosten einher. Die expositionsbasierte kognitive Verhaltenstherapie ist eine effektive, leitliniengerechte Behandlung, doch sie wirkt nicht für jede:n Patient:in gleichermaßen gut. Klinische Studien deuten darauf hin, dass im Mittel weniger als 50% aller Patient:innen klinisch bedeutsam von einer KVT profitieren. Ziel dieses Symposiums ist es, einen Überblick über aktuelle Entwicklungen in der Klinischen Forschung und deren Translation in eine optimierte psychotherapeutische Behandlung von Angststörungen zu geben. Ulrike Lüken wird zur generellen Wirksamkeit von Psychotherapie bei Angststörungen sprechen und aktuelle Befunde aus der prädiktiven Analytik vorstellen, die zum Ziel haben, Risikopatient:innen zu identifizieren und stratifiziert evidenzbasierten Behandlungsalternativen zuzuweisen. Jan Richter wird zu den Wirkmechanismen expositionsbasierter Psychotherapien referieren und hier aktuelle theoretische Modelle und empirische Befunde vorstellen. Peter Neudeck überträgt in seinem Beitrag aktuelle Befunde aus der Mechanismus-basierten Forschung zu Furchtinhibition in praktische Implikationen zur Gestaltung expositionsbasierter Psychotherapie. Abschließend wird Ingmar Heinig aktuelle Daten aus dem PROTECT-AD Konsortium zu möglichen Nebenwirkungen intensivierter Expositionsbehandlung vorstellen.
Referate
Titel: Wer spricht nicht an auf Psychotherapie?
Psychotherapie wirkt – aber nicht für jede:n gleichermaßen gut. Aktuelle Metaanalysen weisen auf lediglich moderate Effektstärken von Psychotherapie für Patient:innen im allgemeinen hin, was den Bedarf an personalisierten Behandlungsansätzen unterstreicht. Aktuelle Forschungsansätze sollten sich also neben der Frage „was wirkt“ auch um die Ergänzung „für wen?“ bemühen. Maschinelles Lernen ist eine geeignete Methode, um fallbasierte Einzelfallentscheidungen zur Therapieprognose evidenzbasiert zu unterstützen. Im Vortrag wird das Phänomen der „Treatment Non-Response“ näher erläutert, der aktuelle Stand zur prädiktiven Analytik im Bereich der Psychotherapie referiert sowie Implikationen für Forschung und Praxis aufgezeigt. Big Data und KI sind in der Gesundheitsforschung angekommen und besitzen das Potential, evidenzbasierten personalisierten Behandlungsansätzen in der Praxis den Weg zu ebnen.
Ulrike Lüken
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Titel: „Ich wurde zum Glück gezwungen“: Nebenwirkungen zeitintensivierter expositionsbasierter Therapie
Patient:innen haben ein verbrieftes Recht, über mögliche Nebenwirkungen ihrer Therapie aufgeklärt zu werden. Obwohl Exposition als nebenwirkungsreiche VT-Intervention gilt, gibt es kaum systematische Untersuchungen zu ihren Nebenwirkungen. In einer Multicenter-Studie befragten wir über 300 Patient:innen mit verschiedenen Angststörungen direkt nach einer expositionsbasierten Therapie, nach sechs Monaten sowie fünf Jahre später mit dem Balanced Assessment of Negative Effects of Psychotherapy (INEP). Wir untersuchen, welche Nebenwirkungen kurz- und langfristig erlebt werden und ob sie mit dem Therapieerfolg zusammenhängen. Die Ergebnisse zeigen, dass Häufigkeit und Intensität von Nebenwirkungen durchaus abnahmen, jedoch weniger stark als gedacht. Zudem waren Nebenwirkungen sowohl kurz- als auch langfristig mit geringerer Symptomreduktion verbunden. Die Ergebnisse geben Hinweise, welche Nebenwirkungen in der expositionsbasierten Therapie eine relevante Rolle spielen und zu welchen Themen Therapeut:innen vor Therapiebeginn besonders aufklären sollten.
Ingmar Heinig & Andre Pittig
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Titel: Warum wirkt expositionsbasierte Psychotherapie: Theoretische Überlegungen und empirische Befunde zu den Wirkmechanismen
Expositionsbasierte Interventionen gelten für Angststörungen aber auch andere psychische Störungen als das Mittel der Wahl in der psychotherapeutischen Behandlung. Dennoch profitieren ein Teil der Patient*innen weiterhin nicht von der Methode. Eine notwendige Optimierung des therapeutischen Vorgehens kann aber nur gelingen, wenn sich diese an den zugrunde liegenden Wirkmechanismen orientiert. Nachdem zunächst das Prinzip der Gegenkonditionierung für die Expositionstherapie angenommen wurde, stand für eine lange Zeit der Prozess der Gewöhnung (auch Habituation) im Vordergrund der Erklärungsmodelle. Empirische Daten haben aber zunehmend aufgezeigt, dass die Gewöhnung die Effekte der Angstkonfrontation nicht vollumfänglich erklären kann. Begleitet von Weiterentwicklungen in der psychologischen Grundlagenforschung steht daher aktuell der Prozess des inhibitorischen Lernens nach den prinzipien der Furcht-Extinktion im Fokus. Der Vortrag stellt die historische Entwicklung und den Wandel in der theoretischen Betrachtung von Veränderungsprozessen expositionsbasierter Interventionen vor und fasst die empirische Befundlage zu den bisher angenommenen Wirkmechanismen zusammen.
Univ.-Prof. Dr. Jan Richter
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Titel: Inhibitionslernen in der Praxis. Neue Ansätze expositionsbasierter Angstbehandlung
Empirische Daten u.a. aus der PROTECT_AD belegen, dass für die Aufrechterhaltung von Angststörungen insb. des Vermeidungsverhalten, ein Fehlen korrigierender Erfahrungen hinsichtlich der erwarteten Bedrohung (Befürchtung) von entscheidender Bedeutung ist. Das Konzept des Inhibitionslernen hat direkte Implikationen für den Fokus des therapeutischen Handelns bei der Vorbereitung und Durchführung expositionsbasierter Psychotherapie von Angststörungen. Vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse der PROTECT_AD Studie ist so ein Manual zur störungsübergreifenden expositionsbasierten Behandlung entstanden. Für die Durchführung von Exposition stehen in diesem neuen Manual ("Erwartungsveränderung und Neulernen bei Ängsten" 2024 Hogrefe Verlag) die Überprüfung der Befürchtungen bei gleichzeitigem Ausschleichen von Sicherheitsstrategien im Fokus. Der Umgang mit Befürchtungsüberprüfung und Sicherheitsstrategien werden sowohl in der Psychoedukation, als auch in der Instruktion, der Durchführung und der Evaluation der Expositionsübungen thematisiert. Das hier vorgestellte Behandlungskonzept stellt einen neuen innovativen Ansatz zur störungsübergreifenden Angstbehandlung dar.
Prof. Dr. Peter Neudeck
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Dieses Symposium widmet sich der Frage, was Psychotherapeut*innen und andere Helfende belastet und welche Art von Unterstützung hilfreich ist. Mit der Interaktionsbezogenen Fallarbeit (IFA) stellen wir einen gruppenbezogenen Ansatz für Personen in helfenden Berufen vor, der darauf abzielt, Resilienz zu stärken. Psychische Belastungen entstehen und zeigen sich häufig im beruflichen Umfeld. Menschen, die sich um das Wohl anderer kümmern, erleben ihre Arbeit oft als sinnstiftend und befriedigend, gleichzeitig aber auch immer wieder als sehr fordernd und mitunter belastend. Unterstützen wir beispielsweise Personen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, werden wir oft mit erschüttert und mitunter an eigene Verunsicherungen erinnert. Bei der Arbeit an „Persönlichkeitsstörungen“ kommt es regelhaft dazu, dass im therapeutischen Kontakt problematische Beziehungsgestaltungen erlebbar werden. Grundsätzlich kann es in jeder professionellen Hilfebeziehung zu dem kommen, was wir mit „Schemaberührungen“ zu fassen versuchen: auf Seiten der Therapeut*in werden eigene implizite Konfliktmuster aktiviert, was eine positive empathische Haltung in mittlerer Distanz erschwert. Das verstehen wir oft nicht unmittelbar, sondern erleben uns diffus gestresst, übermäßig gefordert und finden es schwierig, in gewohnter Freiheit und Kraft auf unser professionelles Handlungsrepertoir zuzugreifen. In einer „Führungskräfte-Werkstatt“ der Universität Ulm, in der mit leitenden Ärzt*innen erforscht wurde, welche förderlichen Bedingungen ein Gesundheit erhaltendes „psycho-social climate“ erzeugt, wurde u.a. gefunden, dass die Fähigkeit, sich auf emotionale Prozesse in einer Arbeitsgruppe einzulassen, gegenseitige Anerkennung sowie Zugehörigkeitsgefühl gesund erhalten und die berufliche Wirksamkeit steigern. (Badura et al. 2013) In gemeinsamen Gruppenprozessen mit der Methode der Interaktionsbezogene Fallarbeit (IFA), bearbeiten wir schwierige Beziehungssituationen in der Psychotherapie und in anderen professionellen Hilfebeziehungen. Dabei liegt der Fokus auf der emotionalen Verstrickung der vorstellenden Kolleg*in mit einer Patientin / einem Klienten. Im Verlauf eines strukturierten Prozesses arbeitet die IFA-Gruppe in einem wohlwollenden Klima daraufhin, für die Fallvorsteller*in eine emotionale Klärung zu bewirken und zu einer ausgeglichenen professionellen Haltung zurückzufinden. Dazu verwenden wir verhaltenstherapeutische Methoden wie eine schematherapeutische Modusaufstellung, Rollenspiele, etc., um das Implizite, zunächst nicht durch Worte Fassbare auf einer symbolischen Ebene sichtbar, dadurch besprechbar und veränderbar zu machen. Lassen Sie uns gemeinsam erkunden, wie wir die, die sich um andere kümmern, besser unterstützen können – denn nur wenn wir selbst gut für uns sorgen, können wir auch für andere da sein. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme und einen inspirierenden Austausch!
Referate
Titel: „Wenn die Schemata sich berühren...“ Emotionale Herausforderungen ambulanter Psychotherapeut*innen in der Arbeit mit Patient*innen
Dipl.-Psych. Mechthild Kerkloh
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Titel: „Die Wahrheit beginnt in der Gruppe“ – Das Erleben und Verstehen von IFA-Gruppenprozessen zur Stärkung der Resilienz in helfenden Berufen
Dipl.-Psych. Holger Feiß
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Titel: Das Konzept der Interaktionsbezogenen Fallarbeit (IFA) zur Bearbeitung und Auflösung impliziter emotionaler Verwicklungen, die den therapeutischen Prozess blockieren
Dipl.-Psych. Johannes Grünbaum
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Die Belastungen durch Gewalt, Diskriminierung und vielfältige Ausgrenzungen bedingen bei behandlungssuchenden trans* und nicht-binären Personen in vielen Fällen entsprechend komplexe Versorgungsbedarfe. In der Gesundheitsforschung wird von einem syndemischen Belastungsgefüge aus spezifischen Gesundheitsrisiken und prekären Lebenssituationen ausgegangen, welches trans* und nicht-binäre Personen mit anderen marginalisierten Personen teilen. Um hier eine passgenaue Gesundheitsversorgung anbieten zu können, müssen Gesundheitsversorger*innen sowohl die soziale Situation der behandlungssuchenden Personen über den gesamten Behandlungsverlauf im Blick behalten und dieser kompetent begegnen. Zudem sollten sie auch in der Lage sein, mit weiteren unterstützenden Professionen in einem koordinierten Netzwerk zu arbeiten, um die Transitionsbehandlung fachkompetent mit den erforderlichen medizinischen, psychotherapeutischen, physiotherapeutischen, soziotherapeutischen Behandlungen zu verzahnen. In den Referaten werden ausgewählte psychische Belastungen vorgestellt, die besondere Beachtung in der therapeutischen Begleitung erfordern.
Referate
Titel: Psychotherapeutische Transitionsbegleitung von trans* und nichtbinären Personen mit Traumafolgestörungen
Trans* und nichtbinäre Personen sind von einem hohen Ausmaß an Diskriminierungen und Gewalt betroffen. Die Gewaltformen verschränken sich intersektional mit weiteren Formen von Stigmatisierung und Feindseligkeit und führen zu einer Benachteiligung der von gewaltbetroffenen Person auch in anderen Lebensbereichen. So können diese Folgen Auswirkungen auf Transitionsprozesse haben. Trans* und nichtbinäre Personen müssen sich häufig schon seit früher Kindheit mit trans*feindlichen gesellschaftlichen und sozialen Kontexten auseinandersetzten und darin überleben. Dies kann zu langanhaltenden psychischen Belastungen beitragen. Im Vortrag werden die spezifischen Bedarfe von trans* und nichtbinären Personen mit Traumafolgestörungen im Rahmen von Transitionsanliegen dargestellt und Anregungen für die psychotherapeutische Begleitung vermittelt. Dabei werden diskriminierungs- und kontextsensible Modelle sowie deren Umsetzung in die psychotherapeutische Praxis vorgestellt.
Kirsten Teren
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Titel: Trans* und Substanzgebrauch
Viele trans* Personen konsumieren Alkohol, Medikamente und andere Drogen, rauchen, haben Probleme mit dem Essen oder ihrem Einkaufs- oder Spielverhalten.
Substanzmissbrauch und Suchterkrankungen stellen in den queeren Communitys ein wesentliches Gesundheitsrisiko dar. Nicht nur, weil z.B. queere Personen nach aktuellen Studien vor dem Hintergrund ihrer stigmatisierten gesellschaftlichen Position Substanzgebrauch als Umgangsweise mit Minoritätenstress einsetzen. Sondern auch, weil sie in der Gesundheitsversorgung auf eine Tradition trans*feindlicher und homonegativer Vorannahmen treffen.
In queeren Communitys wurden über die letzten vier Jahrzehnten mehrfach Diskussionen um Sucht und Substanzgebrauch begonnen, diese brachen jedoch oft nach einiger Zeit wieder ab. So wird kaum darüber offen gesprochen, obwohl viele Queers selbst oder durch Freund*innen von substanzgebrauchsassoziierten Problemen betroffen sind. Auch über Erfahrungen mit dem Aussteigen aus einer Sucht bzw. schädlichem Substanzgebrauch gibt es nur wenig Kommunikation.
In dem Beitrag werden Daten aus der aktuellen Forschung über Sucht und Substanzkonsum bei trans* Personen vorgestellt und Dynamiken des Gebrauchs an Fallbeispielen dargestellt. Zudem werden Elemente einer trans*respektvollen psychotherapeutischen Behandlung schädlichen Substanzgebrauchs diskutiert.
Gisela Fux Wolf
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Titel: Neurodivergenz (insbesondere Autismus-Spektrum und ADHS) und Trans*geschlechtlichkeit
Sowohl Charakteristika des Autismus-Spektrum als auch von ADHS können auf verschiedene Arten den Transitionsprozess beeinflussen. Gleichzeitig gibt es eine merkbare Korrelation zwischen Neurodivergenz und Trans*geschlechtlichkeit. An Beispielen aus der ambulanten Praxis werden sowohl Schwierigkeiten diskutiert, welche neurodiverse trans* Personen erleben, als auch Vorschläge für eine adäquate psychotherapeutische Versorgung sowie hilfreiche Verzahnung mit anderen Disziplinen angeboten.
Verena Jurilj
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Titel: Psychische Belastungen bei trans* und nichtbinären Kindern und Jugendlichen
Trans* und nichtbinäre Heranwachsende werden zunehmend in Gesellschaft, Medien und Gesundheitsversorgung sichtbar. Ein wichtiger Beweggrund hierfür ist sicherlich die Entpsychopathologisierung von Trans*geschlechtlichkeit und damit ein deutlich affirmativerer Blick auf geschlechtliche Vielfalt. Die bisherige Pathologisierung sorgte für eine massive Stigmatisierung und Diskriminierung und erzeugte so eine mentale Belastung bei trans* und nichtbinären Kindern und Jugendlichen, die als Symptome psychischer Erkrankungen, aber auch als Resilienzen in der Versorgung sichtbar werden können. Jedoch wird die vorfindliche Symptomlast von manchen Mediziner*innen noch immer irrtümlich als Begründung für einen eigenen Krankheitswert des trans*geschlechtlichen Erlebens herangezogen. Zudem nutzen trans*feindliche, antifeministische und rechtsextreme Kräfte solche Narrative, um ihre queerfeindlichen Positionen zu untermauern. Es ist eine Diskursverschiebung zu beobachten, die in die Versorgung hineinragt. Daher kann es für Versorger*innen eine Herausforderung sein, die vielfältigen Behandlungsbedarfe fachgerecht zu adressieren. Der Vortrag will einen Einblick in die aktuelle Leitlinie geben und Orientierung ermöglichen.
Mari Günther
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Einsamkeit ist ein Phänomen von zunehmender gesellschaftlicher Relevanz, das auch in den Fokus der Psychotherapie und Supervision rückt. Gleichzeitig löst Einsamkeit oftmals Ratlosigkeit aus, wie diese psychotherapeutisch adressiert werden kann. Denn Einsamkeit ist kein Thema des Alters, sondern kommt in allen Altersstufen vor und betrifft eine Vielzahl psychischer Störungsgruppen. Insbesondere in der Supervision gilt es Wissen aus der Forschung und Praxis mit den herkömmlichen Behandlungsmethoden zu verknüpfen.
Im Workshop soll zunächst das Phänomen der Einsamkeit beleuchtet und zwei zentrale Fragen beantwortet werden: Wie entsteht Einsamkeit? Und was trägt zu ihrer Aufrechterhaltung bei? Hiervon ausgehend sollen therapeutische Ansatzpunkte und störungsübergreifende Interventionen vorgestellt und diskutiert werden, die einen konkreten Umgang mit Einsamkeit in der Psychotherapie ermöglichen können.
Diese Supervisor*innen-Fortbildung ist eine Veranstaltung der Qualitätssicherungskommission (QSK) der DGVT.
In diesem Workshop sollen die wichtigsten Basisinformationen zur Verfügung gestellt werden, die benötigt werden, um eine ambulante Therapiegruppe zu beginnen. Der Workshop richtet sich an approbierte Psychotherapeut*innen mit und ohne Zusatzqualifikation für Gruppe, die am Beginn ihrer Gruppentätigkeit sind oder sich für die Option Gruppentherapie interessieren. Der Schwerpunkt des Workshops bezieht sich auf die formalen Rahmenbedingungen.
Psychotherapie und Beratung sehen sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, nicht genügend gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Insbesondere Psychotherapie sei – nicht zuletzt durch die komplexen Zugangswege – eher privilegierten Personenkreisen zugänglich. Psychotherapeut*innen sehen sich auf dem Hintergrund ihrer Ausbildung und ihres Berufsverständnisses nur eingeschränkt in der Lage, mit einem Personenkreis zu arbeiten, der bestimmte soziale Regeln von Gewaltfreiheit in interpersonellen Kontexten missachtet – aber gerade deshalb der psychosozialen Unterstützung bedarf, um perspektivisch kein fremd- und selbstschädigendes Verhalten mehr zu zeigen.
In diesem Symposion stellen Einrichtungen aus Berlin und Hannover ihre Arbeit an der Schnittstelle von delinquentem Verhalten, Risikoanalyse und deliktfokussierter Beratung vor:
Referate
Titel: Screening Assessment for Stalking and Harassment (SASH) in der Praxis von Stop-Stalking-Berlin
Für einen objektivierbare validierte Risikoeinschätzung können standardisierte Instrumente wie das Screening Assessment for Stalking and Harassment (SASH) genutzt werden. Nun liegen die Ergebnisse einer Evaluation des SASH hinsichtlich seiner psychometrischen Güte vor. Diskutiert wird eine in den Daten gefundene Typenverteilung von Stalker*innen.
Sarah Einmold
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Titel: Subjektive Erfahrungen von Menschen, die stalken
Bisher gibt es kaum Forschungsarbeiten, die Stalking aus Perspektive derer untersuchen, die es selbst ausüben. In diesem Beitrag soll daher die auf einem qualitativen Interview basierende Einzelfalldarstellung zu einer Stalking-Täterin präsentiert werden, die ihre ehemalige Psychotherapeutin stalkt. Es sollen charakteristische Beschreibungen der Befragten und deren Verknüpfung zu aktueller Theorie und Forschung zum Thema Stalking herausgearbeitet werden. Was für Rückschlüsse lassen sich aus diesen Überlegungen für die psychosoziale Praxis ziehen?
Vivian Schotte
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Titel: Stalking – der unbändige Drang nach Nähe – und der Frieden der Distanz
Was lernen wir von unseren Klient*innen? Eine Reflexion über 30 Beratungsgespräche mit einer stalkenden Person: Was waren aus Sicht des Beraters, was aus Sicht der Ratsuchenden die turning-points und Aha-Erlebnisse? Welche Schlüsse ziehen wir daraus für unsere Beratungspraxis?
Wolf Ortiz-Müller
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Titel: Die Bedeutung der Beziehungsgestaltung bei ("beziehungsgestörten") Menschen, die stalken
Da Klient*innen, die Stalkingverhalten zeigen, bis zu 60% durch eine Borderline-Persönlichkeitsorganisation (Kernberg) in ihren Interaktionsmustern massiv eingeschränkt sind, ist die Etablierung eines tragfähigen Arbeitsbündnisses so wichtig. In einer Falldarstellung wird deutlich, wie herausfordernd es sein kann, einen „sicheren“ Rahmen aufzubauen, innerhalb dessen „Agiertendenzen“ bearbeitet werden können. Dabei ist entscheidend, die interpersonelle Dynamik und die Übertragungssituation im Blick zu haben, so dass potenzieller „Kontaktverlust“ durch Fehlzeiten oder durch seelischen Rückzug unmittelbar beraterisch genutzt werden kann. Erfolgversprechend sind mentalisierungsgestützte Techniken, die dem latent drohenden Abbruch bzw. Rückzug der Klient*innen zuvorkommen und die Beziehung stabilisieren können.
Flipo Seilern
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Titel: Schlüsselmomente im Sozialen Training bei häuslicher Gewalt – was bewegt?
Grundlage des Beitrags sind Rückmeldungen von Teilnehmern Sozialer Trainingskurse bei Häuslicher Gewalt. Diese werden mit dem Ziel untersucht, Aufschluss über Schlüsselmomente zu erhalten: An welcher Stelle der inhaltlichen Auseinandersetzung in der Arbeit erleben die Klienten ein verändertes Verständnis ihres Handelns und öffnen sich einem Perspektivwechsel? Was schildern sie als bedeutsamen Veränderungsimpuls?
Dr. Almut Koesling
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Wir stellen drei neuartige Psychotherapiekonzepte für Menschen mit Psychoseerkrankungen vor, die die Individualität der Symptome und die aktive Gestaltung des eigenen Lebens in den Fokus rücken: Mar Rus-Calafell (Ruhr-Universität Bochum) präsentiert die AVATAR-Therapie zur Minderung alltagsrelevanter Belastungen durch Stimmenhören. Matthias Pillny (Universität Hamburg) stellt „Goals in Focus" als ambulante Einzeltherapie zur Förderung der Umsetzung selbstgewählter Ziele vor. Eine Adaptation der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) als stationäres Gruppenprogramm für Menschen mit Psychoseerkrankungen wird vom Team "act23" (Vivantes Klinikum am Urban) präsentiert. Hierbei stellen wir sowohl die klinische Umsetzung als auch erste Studienergebnisse vor.
Referate
Titel: AVATAR_VRSocial Therapie für auditive verbale Halluzinationen bei früher Psychose
Die Intervention AVATAR_VRSocial richtet sich an Personen, die belastende Stimmen hören. Sie basiert auf AVATAR Therapie, bei der eine digitale Repräsentation oder ein „Avatar“ der belastenden Stimme mittels eines Computers erstellt wird und, mit Hilfe eines Therapeuten, ein Dialog zwischen der Person und dem Avatar stattfindet. Im Verlauf der Therapie wird die Person dabei unterstützt, sich dem Avatar gegenüber zunehmend zu behaupten, mit dem Ziel sich durch die belastenden Stimmen im Alltag weniger verängstigt oder beunruhigt zu fühlen. Darüber hinaus nutzt AVATAR_VRSocial Virtual-Reality-gestützte Umgebungen, um Personen in sozialen Situationen zu einem besseren Umgang mit ihren Stimmen zu befähigen. In dieser Präsentation werden wir die erste Studie vorstellen, in der AVATAR_VRSocial Therapie bei Personen mit belastenden AVH und früher Psychose durchgeführt wurde. Sie wird eine ausführliche Erläuterung der protokollierten Therapie sowie Video- und Audioaufnahmen von Klienten, die belastende Stimmen erleben, enthalten. Dieser Vortrag wird auf Englisch gehalten (Folien und Materialien werden auf Deutsch präsentiert).
Prof. Dr. Mar Rus-Calafell
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Titel: „Goals in Focus". Ambulante Einzeltherapie zur Förderung der Umsetzung selbstgewählter Ziele von Menschen mit Negativsymptomatik bei Schizophrenie
„Goals in Focus“ übersetzt die Erkenntnisse aus der klinischen Grundlagenforschung über Mechanismen, die motivationalen Negativsymptomen bei Schizophrenie zugrunde liegen, in ein maßgeschneidertes und umfassendes neues ambulantes psychologisches Behandlungsprogramm. Diese Studie untersuchte die Durchführbarkeit des Therapiemanuals und der Versuchsverfahren. Dreißig Teilnehmer:innen, bei denen eine Schizophrenie-Spektrum-Störung diagnostiziert wurde und die mindestens moderate motivationale Negativsymptome aufwiesen, wurden randomisiert entweder 24 Sitzungen von „Goals in Focus“ (n = 15) oder einer 6-monatigen Wartekontrollgruppe (n = 15) zugewiesen. Einzelblind-Messungen wurden zu Beginn, 6 Monate nach Beginn der Studie und zu Behandlungsende durchgeführt um psychosoziale Funktionsfähigkeit, Wohlbefinden, depressive Symptome, motivatonale und expressive Negativsymptome und Zielstrebigkeit im Alltag zu erfassen. Die Ergebnisse befinden sich derzeit in Auswertung. Zu den vorgestellten Hauptergebnissen gehören die Machbarkeit wie beispielsweise Patient*innenrekrutierung, die Patient*innenbindung und Akzeptanz der Verfahren.
Dr. Matthias Pillny
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Titel: Neuartige Psychotherapiekonzepte für Menschen mit Psychoseerkrankungen
Die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) vermittelt eine Orientierung an persönlichen Werten sowie ein gleichzeitiges Bewusstsein für innere Hindernisse und kann helfen, flexibler hiermit umzugehen. Durch die Nutzung von ACT im Berliner Vivantes Klinikum Am Urban möchten wir Menschen mit Psychoseerkrankungen schon während der stationären Akutbehandlung motivieren, ihren „inneren Kompass“ zu nutzen, um sich konkret auf das zuzubewegen, was ihnen wichtig ist. Mit der ASPIRE-Pilotstudie untersuchen wir die Durchführbarkeit von zwei stationären ACT-spezifischen Gruppentherapien („Hier-und-Jetzt-Gruppe“, „Kompass-Gruppe“). Im Symposiumsbeitrag stellen wir die Entwicklungsschritte und Herausforderungen der Implementierung unseres ACT-Programmes vor sowie erste Studienergebnisse.
Dr. Felicitas Ehlen
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In Deutschland wachsen ungefähr drei bis vier Millionen Kinder und Jugendliche mit mindestens einem psychisch kranken Elternteil auf (Wiegand-Grefe, & Petermann, 2016). Diese Kinder haben ein erhöhtes Risiko, selbst psychische Probleme zu entwickeln (z.B. Wiegand-Grefe et al., 2019), welches zum einen auf eine erhöhte genetische Vulnerabilität, zum anderen auf Umweltvariablen wie das elterliche Erziehungsverhalten zurück zu führen ist.
In der Versorgung psychisch kranker Erwachsener wird die Frage nach den Kindern noch immer oft vernachlässigt. Zugleich berichten Eltern mit psychischen Problemen häufig, keine adäquaten Hilfen zu bekommen.
Das Symposium stellt verschiedene Ansätze vor, psychisch belastete Eltern zu unterstützen und somit einen Beitrag zu einer gesunden kindlichen Entwicklung zu leisten.
Referate
Titel: Das Projekt „Smart-e-Moms“
Eine Smartphone-basierte, kognitiv-verhaltenstherapeutische Intervention, die zeitlich flexibel und nutzbar ist und Frauen mit postpartalen Depressionen eine neue, unkomplizierte Behandlungsmöglichkeit bietet.
Caroline Meyer
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Titel: Digitales Elterntraining für psychisch belastete Eltern
Ein neu entwickeltes, digitales Elterntraining: vorgestellt werden Inhalte der App sowie die Erfahrungen mit dem iterativen, partizipativen Entwicklungsprozess aus der Perspektive der Beteiligten.
Caroline Seiferth | Charlotte Rosenbach
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Titel: Borderline und Mutter sein - Digitales Elterntraining für psychisch belastete Eltern
Ergebnisse aus der Multicenter-Studie ProChild zur Evaluation eines Elterntrainings für Mütter mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung.
Jana Zitzmann | Charlotte Rosenbach
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Titel: Pro-Child-Teilprojekt „Mütter und Kinder zwischen den Hilfesystemen“
Ergebnisse zur Untersuchung des subjektiven Hilfeerlebens von Müttern mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und Fachkräften aus der Kinder- und Jugendhilfe sowie dem Gesundheitswesen.
Maksim Hübenthal
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Psychische Störungen gewinnen zunehmend Bedeutung für die Erwerbswelt. Sie führen zu langen Fehlzeiten der Beschäftigten, zum Abgleiten in der Erwerbslosigkeit und auch immer häufiger zu frühen Berentungen. Es verwundert insofern nicht, dass diese Störungen zunehmend in den Fokus der Betriebe und der Kostenträger (Krankenkassen oder Rententräger) rücken und ein Bedarf für spezialisierte arbeitsplatzbezogene Psychotherapie festgestellt wird. In dem Symposium werden psychotherapeutische Interventionen für Erwerbspersonen aus aktuellen Forschungsprojekten und deren exemplarische Umsetzung vorgestellt.
Referate
Titel: ReHaTOP und psychosoziales Coaching Hannover – Resultate zweier Modellprojekte zur Förderung der Re-Integration psychisch erkrankter Erwerbsloser
In diesen beiden Modellprojekten der Medizinischen Hochschule Hannover und des Jobcenter Region Hannover werden seit 2022 neue multiprofessionelle Versorgungsmodelle erprobt, um der großen Zahl an psychisch erkrankten Erwerbslosen neue Perspektiven zu bieten. Initial bieten 14 Psycholog:innen der MHH ein vollwertiges psychologisches Clearing inkl. individualisierter Handlungsempfehlungen an. Im Projekt ReHaTOP erfolgt dann über 12 Monate eine persönliche, intensive und multiprofessionelle Begleitung durch Psycholog:innen, Psychiater:innen, Sozialpädagog:innen, fachliche Anleiter, Ergotherapeut:innen, Fallmanager des Jobcenters usw., um nachhaltige Entwicklungs- und ReIntegrationsprozesse der Betroffenen zu entwickeln und zu begleiten. Wissenschaftliche Daten aus beiden Projekten werden präsentiert.
Ivo Heitland
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Titel: Sozialmedizinische Behandlungen in der ambulanten Psychotherapie bei Patienten mit und ohne Arbeitsfähigkeitsprobleme
Hintergrund: Die Behandlung (chronischer) psychischer Erkrankungen zielt sowohl auf die Symptomreduktion als auch auf die Verbesserung der sozialen und beruflichen Teilhabe durch sozialmedizinische Behandlungen und Beratung ab. Ziel der vorliegenden Studie war es, arbeitsfähige und arbeitsunfähige Psychotherapiepatienten im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Patientenstatus und der Behandlungssituation zu vergleichen.
Methode: 73 kognitive Verhaltenstherapeuten und 58 psychodynamische Psychotherapeuten wurden zu 188 bzw. 134 aktuellen Patientenbehandlungen befragt. Die Fallberichte bezogen sich auf Patienten, die im Durchschnitt 42 Jahre alt waren (65 % Frauen).
Ergebnisse: Es gab keine Unterschiede zwischen Patienten ohne oder mit kurzer Krankschreibung (bis zu 6 Wochen, n=156) und Patienten mit längerer Krankschreibung (7 Wochen oder mehr, n=140) in Bezug auf grundlegende Merkmale der Behandlung (Nebenwirkungen, therapeutische Allianz). Patienten mit längerer Krankheitsdauer hatten schwerere Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit und Teilhabe. Sie erhielten spezifischere, auf die Teilhabe am Arbeitsleben ausgerichtete Behandlungen, während allgemeine salutotherapeutische Aktivitäten (Sportverein, Beratung, Familienunterstützung) bei Patienten mit kürzerer oder längerer Krankheitsdauer in gleicher Weise durchgeführt wurden.
Diskussion: Die Therapeuten wählten die Behandlungsoptionen indikationsbezogen aus: Bei Patienten mit Problemen der Teilhabe am Arbeitsleben wurden mehr arbeitsbezogene Behandlungen durchgeführt, während Behandlungen zur Verbesserung der allgemeinen psychischen Gesundheit unabhängig von spezifischen Problemen der Teilhabe am Arbeitsleben eingesetzt wurden.
Beate Muschalla
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Titel: Return to Work in Psychiatrischen Institutsambulanzen: Ein ressourcenorientierter Behandlungsansatz
Bei Return to Work in Psychiatrischen Institutsambulanzen (RTW-PIA) handelt es sich um eine modular aufgebaute Intervention mit dem Ziel der Förderung der nachhaltigen Rückkehr an den Arbeitsplatz bei psychischen Erkrankungen. Neben der Regelversorgung in psychiatrischen Institutsambulanzen erhalten Betroffene eine spezifische Behandlung, welche die spezifischen Herausforderungen von Menschen fokussiert, die nach längerer Krankschreibung wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren möchten. Im Rahmen unterschiedlicher Module finden sowohl spezifische therapeutische Bedarfe als auch rechtliche Rahmenbedingungen im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung Berücksichtigung in der Behandlung. Die Intervention erstreckt sich auf einen Zeitraum von insgesamt 18 Monaten, in denen die Betroffenen im Einzel- und Gruppensetting sowie durch eine webbasierte Nachsorge bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz unterstützt werden. Die unterschiedlichen Behandlungssettings ermöglichen es Betroffenen individuelle Problemlagen in Bezug auf die Rückkehr zu adressieren, neue Perspektiven im Austausch mit anderen Betroffenen zu gewinnen sowie sich selbstständig mit dem Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der eigenen psychischen Gesundheit zu beschäftigen.
Anna Borgolte
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Titel: Return-to-Work: Ambulante Begleitung eines regionalen Unternehmens
Psychische Erkrankungen machen rund 20% aller Krankschreibungen aus, gehen mit doppelt so langen Fehlzeiten wie andere Erkrankungen einher und sind für etwa 40% aller Erwerbsminderungsberentungen verantwortlich. Nur 50-70% aller Betroffenen kehren nach einer psychischen Erkrankung wieder in eine Beschäftigung zurück. Gerade in ländlichen Regionen mit hohem Fachkräftemangel sind daher Unterstützungsangebote bei psychischer Erkrankung sowohl für ArbeitnehmerInnen wie auch ArbeitgeberInnen notwendig.
Daher entwickelte die Klinik Wittgenstein gemeinsam mit einem regionalen Unternehmen ein Konzept zur Unterstützung psychisch Erkrankter am Arbeitsplatz.
Im Austausch mit dem Unternehmen wurden bestimmte Problemschwerpunkte in der arbeitsmedizinischen Versorgung der MitarbeiterInnen herausgearbeitet. Basierend darauf wurden bedarfsorientiert bestimmte Versorgungsschwerpunkte analysiert und in einem Konzept zur Ergänzung des betrieblichen Gesundheitsmanagement des Unternehmens festgehalten.
Sarah Unterschemmann
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Im Mittelpunkt des Symposiums stehen zwei Patient*innengruppen, die in der psychotherapeutischen Versorgung bis heute in hohem Maße vernachlässigt werden. Auf den ersten Blick unterschiedlich, ist Jugendlichen und alten Menschen gemeinsam, dass sie sich an den Rändern der Lebensspanne befinden und ihnen traditionell eine geringere gesellschaftliche Wertigkeit beigemessen wird als den normbildenden „Mittelalten“. Gemeinsam ist ihnen ferner, dass sich Jugendliche und alte Menschen in sensiblen Lebensphasen mit hoher Entwicklungsdynamik befinden. Innerhalb der beiden Altersgruppen nehmen wir – ganz im Sinne des Tagungsmottos – diejenigen Individuen in besonders vulnerablen Lebenssituationen in den Blick: Jugendliche in Fremdunterbringung auf der einen Seite und hochaltrige Patient*innen mit Unterstützungs- und Pflegebedarf auf der anderen Seite. Wir sehen Psychotherapie mit diesen Patient*innengruppen als eine Chance, Psychotherapie als Disziplin und Versorgungsfeld weiterzuentwickeln.
Referate
Titel: Eine internetbasierte Intervention gegen Reviktimisierung für Jugendliche und junge Erwachsene in Fremdunterbringung: Finale Ergebnisse einer randomisiert kontrollierten Studie
Das Ziel der vorliegenden randomisiert kontrollierten Studie (RCT) ist es, die Wirksamkeit des Programms EMPOWER YOUTH erstmals zu überprüfen. EMPOWER YOUTH besteht aus sechs Modulen, in denen unter anderem Emotionsregulation, Selbstwirksamkeit sowie das Erkennen und Bewältigen von Risikosituationen, thematisiert werden. In einem RCT mit einer Wartelistenkontrollgruppe werden folgenden Endpunkte über einen Zeitraum von 18 Wochen im Follow-Up untersucht: Viktimisierungserfahrungen (primäres Endpunkt), Risikowahrnehmung, aggressive Tendenzen, Empathie, prosoziales Verhalten, Depressivität, posttraumatische Belastungssymptome und Einsamkeit. 163 Jugendliche (M = 17,68 Jahre, SD = 2,11) konnten als Teilnehmer:innen randomisiert werden. Etwa die Hälfte der Jugendlichen zeigte eine erhöhte Psychopathologie. Die Interventionsgruppe zeigte eine signifikante Zunahme in Risikowahrnehmung (p = .036, ηp² = 0.04; p = .026, ηp² = 0.05). Das Programm EMPOWER YOUTH kann als Ergänzung zu anderen therapeutischen Maßnahmen empfohlen werden, nicht als alleinstehende Intervention.
Betteke Maria van Noort | Lucia Emmerich | Birgit Wagner
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Titel: PANAMA - Psychotherapie aus der Innensicht älterer Menschen
Wie erleben Menschen im hohen Lebensalter Psychotherapie? Mit dem Ziel, Ansätze für eine bedarfsgerechte Psychotherapie für ältere und sehr alte Menschen zu entwickeln, wurden im Rahmen des laufenden Forschungsprojekts „PANAMA“ bisher 14 leitfadengestützte Interviews mit Menschen über 65 Jahren geführt, die kürzlich eine ambulante Psychotherapie absolviert haben. Die Grounded-Theory-Analyse deutet darauf hin, dass Psychotherapie im Alter aus vielfältigen Gründen in Anspruch genommen wird, etwa akuten Krisen aufgrund von Verlusten, dem Wunsch nach einem Lebensrückblick oder der Aufarbeitung biografischer Themen. Sie wird übereinstimmend als unterstützend bei der Bewältigung schwieriger Lebenssituationen bewertet; ausschlaggebend ist eine vertrauensvolle therapeutische Beziehung, an die die Teilnehmenden besondere Wünsche nach persönlicher Nähe, Reziprozität und Freundschaftlichkeit richten. Die als subjektiv hilfreich erlebte nahe Beziehungsgestaltung sowie die entlastende Funktion des Gesprächs stellen Besonderheiten dar, die eine Neubetrachtung sowohl des Abstinenzbegriffs als auch der Zielsetzung von Psychotherapeut:innen erfordern könnten.
Irene Fechau | Eva-Marie Kessler | Reinhard Lindner | Uwe Krähnke
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Titel: Viktimisierungserfahrungen, Einsamkeit, Depressivität und Suizidalität bei Jugendlichen in Fremdunterbringung
Die vorliegende Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Polyviktimisierung, unterschiedlichen Viktimisierungsarten und internalisierende Symptome wie Depressivität, Suizidalität und Einsamkeit bei Jugendlichen mit Fremdunterbringungserfahrung. 164 Teilnehmende im Alter von 14 bis 21 Jahren (M = 17,39, SD = 1,95) die in Fremdunterbringung (Pflege-, Adoptivfamilie oder institutioneller Unterbringung) lebten, nahmen an einer Onlinebefragung teil. Die Jugendlichen berichteten im Durchschnitt von 12,66 (SD = 6,58) Viktimisierungserfahrungen in ihrem Leben. Teilnehmenden die das weibliche oder diverse Geschlecht zugeordnet waren, meldeten höhere Raten von Viktimisierung, Einsamkeit, Depressivität und Suizidalität als männliche Teilnehmer. Jugendliche die aktuell in stationäre Jugendhilfeeinrichtungen lebten, berichteten von mehr Viktimisierungen und stärkeren Einsamkeitsgefühlen als jene die in Pflegefamilien lebten. Polyviktimisierung an sich korrelierte mit keiner der internalisierende Symptome, jedoch war Peer-Viktimisierung signifikant mit Depressivität (β = 0,23, p = .002) und Einsamkeit (β = 0,22, p = .006) assoziiert, und sexuelle Viktimisierung mit Depressivität (β = 0,22, p = .004). Zusammengefasst zeigen Jugendliche mit Fremdunterbringungserfahrung hohe Viktimisierungsraten und stark ausgeprägte internalisierende Symptome, wobei Mädchen und Jugendliche in der stationären Jugendhilfe besonders belastet sind. Interventionen sollten verschiedene Viktimisierungsarten adressieren, mit einem besonderen Fokus auf sexuelle und Peer-Viktimisierung.
Olivia Lucia Marie Emmerich | Birgit Wagner | Nina Heinrichs | Betteke Maria van Noort
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Titel: Widerstände von Psychotherapeut:innen gegenüber der Arbeit mit älteren, pflegebedürftigen Menschen mit Depression, auf Basis der Abschlussinterviews mit den Projekttherapeut:innen im PSY-CARE Projekt
Die vorgestellte qualitative Studie widmet sich der Erarbeitung von inneren Widerständen, die Psychotherapeut:innen gegenüber der Arbeit mit älteren, zuhause lebenden und pflegebedürftigen Patient:innen im Rahmen des Berliner PSY-CARE Projekts erlebten. Die Konfrontation mit dem Leid der Patient:innen löste bei den Therapeut:innen ein Gefühl der Hilflosigkeit und damit einhergehend Selbstzweifel aus, da klassisches psychotherapeutisches Arbeiten zum Teil kaum möglich war. Die Enttäuschung darüber sowie eine empfundene ausbleibende Wertschätzung der therapeutischen Arbeit führte beispielsweise zu einem Gefühl von mangelnder Selbstwirksamkeit oder gar zum Gefühl der narzisstischen Kränkung. Dieser subjektive Eindruck, den Bedarfen der Patient:innen nicht gerecht werden zu können, ist maßgeblich für die Widerstände einiger Psychotherapeut:innen gegenüber der Arbeit mit älteren Menschen.
Anna Josephine Cogel | Irene Fechau | Eva-Marie Kessler | Christina Demmerle
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Rund 5% der Bevölkerung leiden unter Albträumen und erfüllen damit die Kriterien einer Albtraumstörung. Mit dieser Prävalenz ist das Störungsbild kein seltenes Phänomen. Dennoch hat es lange vor allem in der verhaltenstherapeutischen Behandlungspraxis kaum eine Rolle gespielt.
Albträume können aber ein behandlungsbedürftiges Phänomen darstellen und sind gut behandelbar. Im Rahmen des Symposiums werden Albträume, ihre Entstehung und Behandlung in der Psychotherapie vorgestellt.
Zunächst führt Albrecht Vorster in die biologischen Grundlagen der Albtraumstörung ein und beleuchtet, wie die Schlafstruktur die Symptomatik auslösen und aufrechterhalten kann. Anschließend präsentiert Annika Gieselmann Daten, wie sich die Veränderung der Schlafstruktur durch eine Insomnie-Therapie auf Albtraumhäufigkeit und -stress auswirkt und führt in die Behandlung durch die Imagery Rehearsal Therapy ein. Johanna Thünker vertieft diese verhaltenstherapeutische Methode und ergänzt das Symposium durch Besonderheiten aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und Beate Klofat spricht zu Besonderheiten und Daten aus der Arbeit mit traumatisierten Patientinnen und Patienten. Abschließend wird die Symptomatik aus Sicht eines Psychoanalytikers dargestellt. Auch dieser Vortrag liefert Anregungen, welche in die verhaltenstherapeutische Arbeit integriert werden können.
Referate
Titel: Die Schlafstruktur als Auslöser von Albträumen – Review
Albträume setzen ein Aufwachen aus dem REM-Schlaf voraus. Ohne Erwachen aus dem Schlaf ist eine Traumerinnnerung nicht möglich. Alkohol, Schnarchen mit Atemaussetzern (Schlafapnoe) und den REM-Schlaf beeinflussende Medikamente (insbesondere Antidepressiva) sind daher bekannte Auslöser von Albträumen. Auch ein unregelmässiger Schlafrhythmus, ein Liegen im Bett bis in den Vormittag sowie Stress haben häufigere Weckreaktionen zur Folge, welche Albträume auslösen können. In der Therapie mit Albtraumpatienten zeigt sich, dass allein schon ein regelmäßiger Schlafrhythmus mit einer begrenzeten Bettliegezeit von max. 8 Stunden die Schlafstruktur beruhigt und die Zahl der Albtraumerlebnisse siginifikant verringert.
Dr. Albrecht Vorster
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Titel: Albträume in der Verhaltenstherapie
Dieser Vortrag zeigt, wie eine Veränderung der Schlafstruktur mit Hilfe eine digitalen Gesundheitsintervention zur Behandlung der Insomnie sich auf die Häufigkeit und das Erleben von Albträumen auswirkt. Die meiste wissenschaftliche Evidenz zur Behandlung der Albtraumstörung liegt für die Imagery Rehearsal Therapy vor. Hierbei wird die Albtraumgeschichte zunächst (1) aufgeschrieben, dann (2) umgeschrieben und (3) eingeübt. In diese Technik wird kurz eingeführt.
PD Dr. Annika Gieselmann
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Titel: Albträume in der verhaltenstherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen
Die Imagery Rehearsal Therapy ist mittlerweile ein gut evaluierter und zunehmend etablierter Ansatz zur Behandlung pathologischer Albträume. Bei Kindern gelten Albträume grundsätzlich als normales Phänomen, können jedoch abhängig von ihrer Häufigkeit und Intensität behandlungsbedürftiges Leiden auslösen. In diesem Beitrag wird die Adaptation des klassischen Ansatzes des Umschreibens des Albtraums auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersgruppen vorgestellt.
Dr. Johanna Thünker
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Titel: Albträume & Traumatisierung
Der Beitrag soll den Überschneidungsbereich der Themen Albträume und Traumatisierung beleuchten. Anhand theoretischer Überlegungen, Studienergebnisse und Fallbeispielen sollen Epidemiologie und Funktion von Albträumen nach Traumatisierung, das Phänomen posttraumatischer Albträume, das neue Störungskonzept „Trauma-assoziierte Schlafstörung“ und nicht zuletzt Bewältigungsansätze wie Dream-Sharing-Groups und albtraum-therapeutische Aspekte in der Traumatherapie vorgestellt werden.
Beate Klofat
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Titel: Albträume in der psychodynamischen Behandlung
Dieser Beitrag leuchtet die Möglichkeit aus, Albträume u.a. anhand der folgenden Fragen nicht nur als Ziel, sondern auch als Mittel der Behandlung zu verstehen: 1) welches Gedächtnismaterial wird im Traum bearbeitet? 2) welche Aussagen zur Affektregulationskapazität der träumenden Person lassen sich aus dem Traummaterial ableiten? 3) gibt es Hinweise vom Traumvortag auf auslösende Erfahrungen? 4) welche verbalen und behavioralen Assoziationen auf den Traum lassen sich im Stundenverlauf beobachten?
Prof. Dr. Lutz Wittmann | Simon Kempe
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Künstliche Intelligenz (KI) ist die Technologie der Stunde. Ihr Einsatz wird in nahezu allen Bereichen menschlicher Aktivität diskutiert und eine Vielzahl von Firmen entwickeln mehr und mehr KI-basierte Systeme. Dies betrifft auch das Feld der psychischen Gesundheit. Wird KI die Versorgung psychischer Störungen verändern, und wird die Versorgung dadurch besser? Das Symposium soll einen Überblick über die Technologie geben und drei potenzielle Anwendungsfelder von KI für die Versorgung psychischer Störungen näher vorstellen. Davon ausgehend sollen in einer ausführlichen Diskussion Chancen und Herausforderungen von KI für unser Feld diskutiert werden.
Zuerst gibt Kevin Hilbert eine kurze Einführung in die Technologie hinter KI. Er erklärt die Funktionsweise und stellt exemplarisch ausgewählte methodische Aspekte vor. Zudem gibt er einen Überblick, in welchen Bereichen der Einsatz von KI im Kontext psychischer Gesundheit und psychischer Störungen beforscht wird.
Anschließend berichtet Lea Maria Schäfer über die Nutzung von (Chat-)Bots in der Psychotherapie. Dabei geht Sie auf den Status Quo, Anwendungspotenziale und Zukunftsszenarien der Integration von KI-Dialogsystemen in die psychotherapeutische Praxis ein. Sie stellt Clare vor, einen sprachbasierten Bot, der neben Diagnostik und Erstgesprächen auch Patient*innen zwischen Therapiesitzungen begleiten kann.
Silvan Hornstein erkundet, ob KI genutzt werden kann, um Psychotherapeut*innen in der Auswahl von Übungen und Hausaufgaben in der Therapie zu unterstützen. Die Idee der KI-basierte Unterstützungssysteme wird anhand bestehender Forschungsarbeiten sowie einer Fallstudie zu einer therapiebegleitenden digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) erkundet.
Abschließend wird Charlotte Meinke über die Rolle von KI für die Personalisierte Psychotherapie sprechen. In Ihrem Vortrag wird zunächst das Potenzial einer personalisierten Behandlungszuordnung beleuchtet und erklärt, warum maschinelles Lernen hierfür unverzichtbar ist. Anschließend wird der aktuelle Stand der Forschung dargestellt und auf die bestehenden Herausforderungen eingegangen.
Referate
Titel: Künstliche Intelligenz in der klinischen Psychologie und Psychotherapie: Eine Einführung
Verfahren unter dem Oberbegriff Künstliche Intelligenz (KI) entwickeln finden auch in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie zunehmend Verwendung als Forschungs-, Analyse- und Interventionsmethoden. Ihre Anwendung bietet eine Reihe von Vorteilen, allerdings unterscheidet sich das Vorgehen zum Teil deutlich von klassischeren Ansätzen. Dieser Vortrag soll daher zuerst eine gut verständliche Einführung in den Einsatz von KI in unserem Feld geben und dabei einige der zentralen Eigenheiten und Herausforderungen kurz vorstellen. Anschließend wird ein Überblick gegeben, in welchen Bereichen der Einsatz von KI im Kontext psychischer Gesundheit und psychischer Störungen besonders beforscht wird, und somit eine Ausgangsbasis für die Vertiefung in den Folgevorträgen geschaffen.
Dr. Kevin Hilbert
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Titel: Empathische KI In der Psychotherapie: Noch Zukunftsmusik oder schon Realität?
VeSprachbasierte Bots wie Clare schaffen ein neues digitales Angebot für die Allgemeinbevölkerung, das unabhängig von einer Diagnose psychologische Unterstützung zu jeder Zeit und ohne zeitliche Einschränkungen bietet. Neben diesen technologischen Möglichkeiten sind KI-Dialogsysteme in der psychotherapeutischen Praxis in Deutschland bislang nicht etabliert, was aufgrund der Sensibilität des Anwendungsbereichs verständlich ist. Dennoch sind kommerzielle Angebote und KI-Entwicklungen wie Clare vielversprechend für die Psychotherapie. Die Einsatzmöglichkeiten von KI reichen von digitaler Assistenz über Unterstützung der Therapie bis hin zu eigenständig arbeitenden Chatbots. Denkbar sind KI-Systeme als Ergänzung zur Therapie, die auch eigenständig therapeutische Gespräche und klinische Erstgespräche übernehmen oder in laufenden Therapien die Verstärkung von Therapieinhalten zwischen den Sitzungen ermöglichen. Es wird auch diskutiert, ob und wie eine emotionale Bindung, eine sogenannte „synthetische Beziehung“, entstehen kann und inwieweit dies hilfreich oder schädlich ist. Mit der Zunahme der technologischen Fähigkeiten von Bots (u.a. von passiver zu proaktiver Gesprächsführung) entstehen neben Chancen auch neue Sicherheitsbedenken und ethische Herausforderungen. Diese Bedenken fließen in die Entwicklung der sprachbasierten KI Clare ein, die dynamisch und therapeutisch empathisch geschult ist. Beispielhaft soll gezeigt werden, wie das Psychotherapeutengesetz in die Technologieentwicklung von Clare einfließt und welche zentralen Herausforderungen diskutiert werden.
BA., BSc., MSc., Lea Maria Schäfer
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Titel: KI-basierte Unterstützungssysteme für die Psychotherapie
Möglicherweise kann Künstliche Intelligenz (KI) genutzt werden, um Psychotherapeut:innen in der Auswahl von Übungen und Hausaufgaben in der Therapie zu unterstützen. Diese Idee wird anhand bestehender Forschungsarbeiten sowie einer Fallstudie zu einer therapie-begleitenden digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) erkundet.
MSc. Silvan Hornstein
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Titel: Überblicksvortrag
Zunächst wird erläutert, welche besondere Rolle maschinelles Lernen bei der personalisierten Behandlungszuordnung spielt und wie es sich von klassischen statistischen Verfahren unterscheidet. Anschließend wird der aktuelle Forschungsstand vorgestellt, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass zwar viele prädiktive Modelle trainiert wurden, diese jedoch häufig weder auf anderen Datensätzen noch im klinischen Setting angewendet wurden. Beispielhaft werden zwei der wenigen prädiktiven Modelle präsentiert, die auch im klinischen Setting eingesetzt wurden: ein Modell zur Identifikation komplexer Fälle (Delgadillo et al., 2022) und ein Modell zur Erkennung von PatientInnen mit erhöhtem Psychoserisiko (Oliver et al., 2021). Abschließend wird ein Ausblick darauf gegeben, welche Entwicklungen die personalisierte Behandlungszuordnung in Zukunft erleichtern könnten.
Charlotte Meinke
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Viele Menschen mit Zwangsstörung können heute psychotherapeutisch so behandelt werden, dass kein klinisches Leiden mehr besteht oder zumindest eine klinisch bedeutsame Verbesserung erreicht wird. Dabei gilt insbesondere Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit Exposition und Reaktionsverhinderung (ERV) als evidenzbasiert und praxisbewährt. Dennoch treten im klinischen Alltag immer wieder individuelle Herausforderungen auf und ein Teil der Behandelten profitiert nicht zufriedenstellend. Inzwischen zeigen Studien, dass neuere Ansätze ähnlich wirksam sein oder die ERV sinnvoll ergänzen können. Im Symposium erfolgt eine vergleichende Darstellung von ambulanter KVT mit ERV und neueren Ansätzen, die laut aktueller S3-Leitlinie als alleinige oder ergänzende Behandlungsmethode erwogen werden können (z. B. metakognitive Therapie, metakognitives Training, Inferenzbasierter Ansatz). In allen Darstellungen wird das Vorgehen am gleichen Beispiel eines unter Zwangssymptomen leidenden Patienten dargestellt. Anschließend sollen spezifische Vorzüge, Herausforderungen der Durchführung und mögliche differentielle Indikationen der verschiedenen Ansätze diskutiert werden.
Referate
Titel: Exposition und Reaktionsverhinderung im ambulanten Kontext: ein Update auf Basis von Praxiserfahrungen & neueren Forschungsergebnissen
In der aktuellen „S3-Leitlinie Zwangsstörungen“ werden verschiedene psychotherapeutische Ansätze als Behandlungsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Evidenzgraden für Menschen mit Zwangsstörung empfohlen. Dabei wird die kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition und Reaktionsverhinderung (ERV) aufgrund der bestehenden Evidenz weiterhin als Psychotherapie der ersten Wahl empfohlen. Im Vortrag wird anhand eines Fallbeispiels ein im ambulanten Setting bewährtes Vorgehen zur Anwendung von ERV dargestellt. Anschließend werden Praxiserfahrungen und Forschungsergebnisse zu Bedingungsfaktoren erfolgreicher Therapieverläufe vorgestellt. Dabei wird insbesondere darauf eingegangen, dass Therapien vor allem dann erfolgreich zu sein scheinen, wenn Patient:innen die Prinzipien der ERV auch tatsächlich anwenden können (Adhärenz) und das Vorgehen zu neuen emotionalen Erfahrungen im Sinne einer emotionsbezogenen Erwartungsverletzung führt.
Benedikt Reuter
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Titel: Übersicht mit Fallbeispielen: Akzeptanz- und Commitmenttherapie bei Zwangsstörungen
Das Referat gibt einen Einblick in die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) bei Zwängen anhand zentraler Interventionen aus dem klinischen Alltag und fasst die Studienlage zur Wirksamkeit des Verfahrens zusammen. Im Fokus von ACT stehen ein offener, annehmender Umgang mit Gedanken und Gefühlen einerseits sowie engagiertes Handeln in Richtung auf persönlich bedeutsame Ziele andererseits. Neben Interventionen zur Stärkung der Gegenwartsorientierung werden insbesondere die Fähigkeit zur Distanzierung gegenüber mentalen Inhalten (Defusion) und eine akzeptierende Haltung in Bezug auf inneres Erleben eingeübt. Einen großen Stellenwert nimmt außerdem die Identifikation persönlicher Werte und deren Realisierung im Alltag ein, wodurch sich ACT auch als expositionsorientiertes Verfahren gestaltet. Dabei bestehen einige Unterschiede zwischen klassischer Exposition und ACT-spezifischer Exposition, die im Rahmen des Vortrags erörtert werden.
Anne Katrin Külz
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Titel: Die Inferenzbasierte Therapie – Ein neuer Weg in der Behandlung der Zwangsstörung?
Der inferenzbasierte Ansatz zur Behandlung der Zwangsstörung (O´Connor und Aardema, 2012) wurde aufgrund empirischer Wirksamkeitsbelege 2022 in die S3-Leitlinine Zwangsstörungen aufgenommen, ist aber in Deutschland noch relativ unbekannt. Dieser recht junge Therapieansatz wurde aus der Arbeit mit Zwangspatienten entwickelt und nicht wie transdiagnostische Verfahren an die Zwangsstörung angepasst. Damit orientiert sich der Ansatz sehr stark am Erleben der Patienten und erlangt eine unmittelbare Plausibilität. Der pathologischen Zweifel gelangt als Kernelement der Zwangsstörung in den Mittelpunkt der Betrachtung. Therapeutische Interventionen zielen darauf, die Patienten zu unterstützen, die zentrale Bedeutung des pathologischen Zweifels zu erkennen, seine typischen Argumentationsfiguren und „Tricks“ zu entlarven und sich wieder dem ersten Eindruck vor dem Beginn des Zweifels zuzuwenden.
Thomas Hillebrand
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Titel: Metakognitive Therapie (MKT) bei Zwangsstörungen. Welche Praxisempfehlungen ergeben sich aus Wirksamkeitsstudien?
Der Beitrag wird das praktische Vorgehen der metakognitiven Therapie (MKT) an Beispielen darstellen und klinische Erfahrungen und Ergebnisse zur vergleichenden Wirksamkeit aus zwei ambulanten Therapiestudien zusammenfassen, in denen MKT mit der bisher primär empfohlenen ERV verglichen wurde. Die MKT arbeitet v. a. mit einem sorgfältig erarbeiteten individualisierten Störungsmodell, speziellen Aufmerksamkeits- und Achtsamkeitstechniken sowie Verhaltensexperimenten. Die Studien zeigen, dass MKT so einen vergleichbaren Rückgang von Zwangssymptomatik und Depressivität wie ERP bewirken konnte und dafür weniger Therapiezeit benötigte. Implikationen zur differentiellen Indikation und zur Kombination metakognitiver und der bisher empfohlenen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätze werden vorgestellt.
Cornelia Exner
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Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie wird sich in herausfordernden Zeiten weiter entwickeln. In den Vorträgen dieses Symposiums werden zukunftsweisende Entwicklungen für die therapeutische Praxis vorgestellt.
Referate
Titel: Zukunft der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie und -psychotherapie
Mentale Gesundheit beginnt in Kindheit und Jugend – nicht im Erwachsenenalter. 50 % der psychischen Störungen entwickeln sich bis zum 14. Lebensjahr, 75 % bis zum 25. Lebensjahr. Sie sind ein Schrittmacher für Störungen im Erwachsenenalter: Wer psychisch erkrankt, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine chronische Erkrankung. Zwischen 2007 und 2020-2022 haben sich psychische Erkrankungen und Belastungen bei Jungen und Mädchen fast verdoppelt, während ihr psychisches Wohlbefinden halbiert wurde. 45 % der globalen Krankheitslast bei 10-24-Jährigen resultieren aus psychischen Störungen, wobei Suizidalität ein Hauptfaktor ist. Eine geringe mentale Gesundheit im Kindes- und Jugendalter führt zu niedrigeren Bildungsabschlüssen, geringerem Einkommen, höherer Arbeitslosigkeit, Frühberentungen und geringerer Lebenserwartung. 147 Mrd. € (4,8 % des BIP) Kosten wurden 2015 durch psychische Störungen in Deutschland verursacht, davon 56,4 Milliarden € direkte Kosten. Der größte Gewinn an Lebenserwartung weltweit kann aktuell durch eine Verbesserung der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen erzielt werden. Mittlerweile gibt es viel Wissen zu Störungsmechanismen und Wirkkomponenten therapeutischer Interventionen, um diesen Risiken zu begegnen. Dieses Wissen ist allerdings so vielfältig, dass es Forschenden kaum noch möglich ist, einen guten Überblick zu behalten. Gleichzeitig findet dieses Wissen nur unzureichend Eingang in die praktische Versorgung und Wissen aus der Praxis geht nicht systematisch in Forschungsprojekte ein. Implementations- und Disseminationsforschung untersuchen, wie Evidenz in die Praxis kommt und ausgerollt werden kann, stecken in Deutschland aber noch in den Kinderschuhen. In dem Vortrag sollen die bisherige Evidenz zusammengefasst und ein Ausblick auf die nächste Phase der psychotherapeutischen Versorgung gegeben werden
Prof. Dr. Hanna Christiansen
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Titel: Digitale Technologie in der Psychotherapie: Chancen und Risiken
Digitale Anwendungen sind mittlerweile nicht nur fester Bestandteil unserer alltäglichen Realität, sondern haben auch in die Sphäre der Psychotherapie und der Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Einzug gehalten. E-Mental Health Angebote versprechen nicht nur eine Steigerung der Effizienz, sondern auch eine Verbesserung der Versorgung durch die Schaffung von niedrigschwelligen, kostengünstigen und flexiblen Behandlungsmöglichkeiten. Die rasante Entwicklung von über 50.000 Gesundheits-Apps steht jedoch im deutlichen Missverhältnis zu Fragen der Evidenzbasierung, Qualitätssicherung, Zertifizierungsverfahren, Transparenz und der nahtlosen Integration in therapeutische Kontexte. Im Vortrag werden die Potenziale und Grenzen der Digitalisierung in den Bereichen Diagnostik, Prävention und Therapie bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen intensiv beleuchtet.
Prof. Dr. Johanna Löchner
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Titel: Live-Chat-Beratung - Chancen und Grenzen
Die GOLDKIND Stiftung bietet eine digitale Plattform für Information und psychologische Online-Erstberatung und ermöglicht niederschwellige, zeitnahe Unterstützung für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene sowie deren Eltern und Bezugspersonen in belastenden Lebenssituationen.
Der Vortrag stellt die Entwicklung des Angebotes vor - von der ursprünglichen Vision bis zur heutigen Online-Beratung. Das Herzstück, die Live-Chat-Beratung, wird anhand fiktiver Fallbeispiele präsentiert. Dabei werden sowohl die besonderen Chancen als auch die Grenzen des digitalen Beratungsformats beleuchtet. Nutzungsstatistiken verdeutlichen die wachsende Relevanz des Angebots. Der Vortrag richtet sich an Fachkräfte aus dem psychosozialen Bereich.
Petra Hellmann & Marie Köster
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