Planung und Moderation: | Heiner Keupp; Bernhard Scholten |
Datum: | Donnerstag, 16.03.2023 |
Uhrzeit: | 10:30-12:30 Uhr |
Sexualisierte Gewalt in Familien und Institutionen ist seit 2010 aus der Latenz, die durch Schweigen, Verharmlosung und Vertuschung möglich wurde, öffentlich geworden. Es waren Betroffene aus kirchlichen und reformpädagogischen Institutionen, die den Mut hatten, einer unvorbereiteten Gesellschaft das ihnen zugefügte Unrecht aufzuzeigen. Sie haben Aufklärung, Aufarbeitung und Anerkennung von Politik und Institutionen eingefordert. Seither hat sich ein Handlungsfeld entwickelt, in dem ein Runder Tisch, ergänzt durch einen Eckigen Tisch der Betroffenen, erste Weichen gestellt hat, die Schaffung des Amtes einer Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung erfolgte, ein Betroffenenrat und eine Unabhängige Aufarbeitungskommission berufen wurden. Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass die Spitze des Eisbergs gut benannt werden kann, dass es aber unverändert ein unzureichend aufgeklärtes und aufgearbeitetes Dunkelfeld gibt. Eindeutig belegt ist, dass es für Betroffene nicht die Psychotherapie- und Beratungsangebote gibt, die sie dringend brauchen.
In diesem Symposium wird das politische und institutionelle Handlungsfeld zu Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt von verantwortlichen Akteurinnen beschrieben werden. Sie werden thematisieren, wie eine gute gesetzliche und politische Basis für die noch lange notwendigen Aktivitäten abgesichert werden kann. sichern. Diese brauchen auch die politische Unterstützung psychosozialer Fachverbände. Dabei werden die Referentinnen ihre Erwartungen an psychosoziale Fachleute formulieren, damit sich diese mit ihren professionellen Kompetenzen an diesem gesamtgesellschaftlichen Projekt engagieren können.
Referate
Titel: Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs an Kindern - Eine Bestandsaufnahme
Seit der öffentlichen Debatte um die sexuellen Übergriffe im Canisius-Kolleg und der Odenwald-Schule hat die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs auch in Deutschland begonnen. Das Referat zeichnet die gesellschaftspolitischen Entwicklungen nach: angefangen von dem spontan von drei Ministerien initiierten "Runden Tisch" unter Leitung der ehemaligen Bundesfamilienministerin Christine Bergmann bis zur heutigen Diskussion um eine gesetzgeberische Absicherung dieser Aufarbeitungsarbeit.
Sabine Andresen
Titel: Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs an Kindern – die Perspektive einer Betroffenen
Angela Marquardt ist seit 2020 Mitglied des Betroffenenrates bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs und ständiger Gast in der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs auf Bundesebene.
Der Beitrag wird ausgewählte Perspektiven von Betroffenen darstellen. Dabei soll schwerpunktmäßig die Frage diskutiert werden, was aus Sicht von Betroffenen notwendig ist, damit Aufarbeitung stärkend sowie entlastend wirken kann. Der Beitrag wird versuchen, die Erwartungen von Betroffenen an die Psychotherapie und die fehlenden Möglichkeiten zu skizzieren. Gleichzeitig sollen damit potentielle Aufgaben von Psychotherapie, klinischer Psychologie und Beratung sowohl für den individuellen wie auch für die gesellschaftlichen Aufarbeitungsprozesse beschrieben werden. Der Beitrag soll grundsätzliche Erwartungen von Betroffenen an diese Aufarbeitungsprozesse aufzeigen.
Angela Marquardt
Titel: Sexualisierter Gewalt in Psychotherapie und Beratung wirksam begegnen – wider eine viktimisierende Kultur
Sexualisierte Gewalt ist für die meisten Betroffene mit schweren psychischen, physischen und sozialen Beeinträchtigungen verbunden. Eine gelingende Therapie ist jedoch „fast ... ein Sechser im Lotto”, so ein aktuelles Forschungsprojekt der Kommission. Die heutige Psychotherapie entlang dem medizinischen Modell in Forschung wie Praxis bietet nur wenig Raum für schwer belastete Hilfesuchende. Fachberatungsstellen sind breiter orientiert, aber längst nicht flächendeckend vorhanden. Die Versorgungshürden haben damit zu tun, dass Gewalt als individuelles gesundheitliches Problem statt als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet wird. Die gesellschaftlich verantworteten Versorgungs- und Qualitätsdefizite haben jedoch individuelle Folgen: Betroffene finden kaum fachgerechte Angebote. In dem Beitrag soll auf Basis einer kurzen Bestandsaufnahme skizziert werden, wie Psychotherapie und Beratung gewaltbetroffenen Menschen fachgerecht eine Chance bieten und im besten Falle Teil einer Gerechtigkeits- und Selbstbemächtigungsorientierung werden könnte.
Silke Birgitta Gahleitner
Titel: Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs an Kindern – die gesellschaftspolitischen Implikationen und Erwartungen
Seit vielen Jahren gibt es zunehmend strukturierte Versuche, den sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen gesellschaftspolitisch aufzuarbeiten. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs hat gemeinsam mit dem UBSKM-Amt (Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs) zahlreiche Initiativen gestartet, um diese Aufarbeitung zunehmend möglich zu machen und inhaltlich zu qualifizieren. Es wurden Maßnahmen zur Aufarbeitung des Missbrauchs in Kirchen, Schulen und Sportverbänden gestartet, und auch im zentralen Kontext des Missbrauchs in Familien. Aufarbeitung an sich ist bisher gesetzlich jedoch nicht geregelt, für kein System, weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Ziel eines aktuell vorbereiteten Gesetzgebungsverfahrens zur Verankerung des UBSKM-Amtes soll auch die Stärkung von Aufarbeitung sein. Eine Debatte im Rahmen des Symposiums, warum dies wichtig ist und wie dies ausgestaltet werden könnte, soll durch den Beitrag angeregt werden.
Kerstin Claus